„Du“ oder „Sie“? Es lebe die Nuancierung!
Isabella Klais / Aufbruch - Wir für Deutschland!
Das Netz ist ein Ort, wo sich spezielle Gebräuche etabliert haben, die sich zum Teil erheblich von denen des nicht-virtuellen Lebens unterscheiden. Einige finden ihren Weg auch aus dem Netz und Eingang in das konkrete Dasein.
Zu den Besonderheiten der Sitten im Netz gehört das „Du“ zwischen Personen, die einander in der Realität noch nie begegnet sind und kaum etwas voneinander wissen. Wie auch im wahren Leben begünstigt diese Vertraulichkeit Übergriffe. Man sagt eher einmal „Du Esel“, als „Sie Esel“. In letzterem Falle wird einem die Beleidigung zumindest bewußter. Viele verbale Schlammschlachten im Netz dürften ihre Ursache in dieser Unsitte finden oder wenigstens durch sie gefördert werden.
Auch aus dem Ausland schwappen dort gebräuchliche Umgangsformen nach Deutschland über. Zum Teil gehörig mißverstanden oder aus ihre Kontext herausgelöst, sorgen sie hier für Irritationen.
So ist das englische „you“ keineswegs gleichbedeutend mit „du“. Selbst wenn es mit dem Vornamen verbunden wird, können die Muttersprachler damit angemessen umgehen. Allen von ihnen ist klar, daß Brian the boss und seinen Anweisungen Folge zu leisten ist. In Deutschland dagegen, wo der Unterschied zwischen „Du“ und „Sie“ fester Bestandteil der Sprache und Ausdruck der Mentalität ist, bedingt das „Du“ automatisch eine Verringerung der Distanz. Von dort aus führt nur noch ein kleiner Schritt zur Verflachung der Hierarchie und zur Infragestellung der Autorität des Chefs seitens der Mitarbeiter. Da heißt es dann schon mal: „Brian kann warten. Er soll sich mal nicht so haben. Ich rede schon noch mit ihm.“ Seitens der Vorgesetzten verleitet das „Du“ zu einer Entdisziplinierung in Bezug auf unangemessene Forderungen in Form und Inhalt gegenüber der Belegschaft. “Jetzt stellt Euch mal nicht so an!“ sagt sich leichter als dasselbe mit dem „Sie“ verbunden.
Das Angebot für des reziproke „Du“ geht immer vom Älteren und Ranghöheren aus, wobei Rang Alter schlägt. Das einseitige Angebot von Jüngeren („Sie können ruhig „Du“ zu mir sagen.“) bedeutet oft eine Flucht in perpetuierten Infantilismus mit dem Ziel der Freizeichnung von Verantwortung. Es sollte daher nicht angenommen werden.
Mit Respekt hat die unterschiedliche Anrede nicht notwendigerweise etwas zu tun. So kann das „Sie“ eine bewußte Distanzierung bedeuten, hinter der Verachtung steht. Dann kommt darin die Haltung zum Ausdruck: „Wir spielen gesellschaftlich nicht in derselben Liga.“ Andererseits zollt man natürlich Freunden Respekt, mit denen man per „Du“ ist.
Enge Freundschaften sind ohne jegliche qualitative Abstufung auf „Sie“-Basis möglich und setzen kein „Du“ voraus.
Animositäten werden durch das „Du“ nicht verhindert. Das gilt insbesondere beim aufgezwungenen Gruppen-„Du“ innerhalb von Belegschaften, an der Universität, in Parteien, in Clubs etc.. Das aufgedrängte „Du“ schafft keine Nähe, sondern entwertet diese Anredeform durch die ihr zu Grunde liegende Unaufrichtigkeit. Abgrenzungen werden dann in anderer Form geschaffen.
Das „Du“ als Ausdruck der Vertrautheit kann in extremen Fällen auch entzogen werden, wenn die Basis dafür entfallen ist. Davon wird viel zu selten Gebrauch gemacht, obwohl es eigentlich ein Gebot der Ehrlichkeit ist. Es wird dann einfach weiter geheuchelt. Warum eigentlich?
Eine völlig inakzeptable Übergriffigkeit bedeutet das von Unternehmen an ihre Kundschaft im Netz gerichtete „Du“. In ihm kommt zum Ausdruck, daß die angepeilte Zielgruppe in einer sehr jungen Altersgruppe liegt, der man sich anbiedern will. Diesbezüglich kann man den Unternehmen nur zu Vorsicht raten. Wollen sie andere Altersgruppen tatsächlich von der Ansprache ausschließen? In der Regel wird das ja wohl nicht der Fall sein. Dann sollten sie es auch unterlassen. Es soll doch wohl ein möglichst breites Spektrum erreicht werden.
Wir sollten die Möglichkeiten der deutschen Sprache ausschöpfen und sie nicht verengen. Dabei muß stets unsere mentale Prägung Berücksichtigung finden. Was bedeutet eine bestimmte Anrede? Entspricht sie wirklich der Einstellung zum Gegenüber und empfindet dieses es ebenso? Bei nur einem Nein ist die Frage der Anrede entschieden.