Richteramt und öffentliche Verantwortung – Warum sich Frauke Brosius-Gersdorf der Debatte hätte stellen müssen

in #deutsch8 hours ago

Die Nominierung von Prof. Frauke Brosius-Gersdorf für das Bundesverfassungsgericht war eine seltene Gelegenheit: Erstmals rückte eine Richterwahl in den Mittelpunkt der öffentlichen Debatte. Statt in den üblichen Hinterzimmern und Parteizirkeln zu bleiben, stand eine Kandidatin im vollen Licht der Aufmerksamkeit – und mit ihr die Frage, wie transparent und kontrovers Richterwahlen in einer Demokratie sein dürfen.

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Doch was folgte, war kein souverän geführter Dialog über Qualifikation, Haltung und Integrität, sondern der Rückzug. Brosius-Gersdorf erklärte, sie könne den „Diffamierungen“ und „Desinformationskampagnen“ nicht weiter ausgesetzt sein. Unterstützer aus dem juristischen Establishment warfen der Politik vor, sie nicht genügend geschützt zu haben.

Kritik ist kein Makel, sondern Prüfstein
Ein Richteramt am Bundesverfassungsgericht ist kein privates Hobby, sondern eine Institution, die über die Auslegung unserer Verfassung entscheidet. Wer für dieses Amt kandidiert, tritt in den Raum der höchsten öffentlichen Verantwortung.
Das bedeutet: Man wird nicht nur an fachlicher Kompetenz, sondern auch an der eigenen öffentlichen Rolle gemessen. Aussagen zu Grundrechtsfragen – ob zu Abtreibung, Impfpflicht oder Menschenwürde – sind nicht abstrakte Seminarübungen, sondern Positionen mit gesellschaftlicher Sprengkraft.

Wer hier Einfluss nehmen will, muss bereit sein, sich auch der härtesten Kritik zu stellen. Nicht, weil es angenehm ist, sondern weil demokratische Legitimation ohne öffentlichen Prüfstein wertlos ist.

Die Grenze zwischen Schutz und Abschottung
Es ist legitim, sich gegen Beleidigungen und Drohungen zu wehren. Aber es ist etwas anderes, wenn jede kritische Auseinandersetzung vorschnell in diese Kategorie fällt. In einer offenen Gesellschaft müssen Kandidaten für höchste Ämter aushalten, dass ihre Positionen seziert, ihre Widersprüche offengelegt und ihre Wertmaßstäbe hinterfragt werden.

Gerade wer Haltungen vertritt, die vom Mainstream abweichen, muss mit Gegenwind rechnen – und ihn argumentativ begegnen. Wer stattdessen den Rückzug wählt, setzt ein fatales Signal: dass unbequeme Debatten um höchste Ämter lieber vermieden werden sollten.

Öffentlichkeit ist Pflicht, nicht Bürde
Das Bundesverfassungsgericht lebt nicht nur von juristischer Exzellenz, sondern auch vom Vertrauen in die Persönlichkeiten seiner Richter. Dieses Vertrauen entsteht nicht im geschützten Kreis der Parteifreunde, sondern im offenen Schlagabtausch mit der Öffentlichkeit.

Wer diese Bühne betritt, sollte bereit sein, den Scheinwerfern standzuhalten. Wer sie scheut, muss sich fragen lassen, ob er dem Amt und seiner symbolischen Wucht gewachsen ist.

Talkshow ist kein Ersatz für öffentliche Prüfung
Brosius-Gersdorf trat bei Markus Lanz auf – eine Bühne, die auf den ersten Blick nach „Stellen“ aussieht. Doch Talkshows sind kein Ersatz für den offenen Diskurs. Sie sind inszenierte Formate, in denen Redezeit, Themenführung und Gesprächspartner kalkuliert sind. Kritische Nachfragen können vorkommen, aber sie sind selten so hart und präzise wie in einer echten juristischen oder politischen Auseinandersetzung.

Wer ein Richteramt am höchsten deutschen Gericht anstrebt, muss mehr leisten als PR-taugliche Selbstpräsentation. Er muss auch ungeschützt auftreten, Widerspruch aushalten und den eigenen Überzeugungen gerade dann treu bleiben, wenn sie ins Kreuzfeuer geraten. Alles andere wirkt wie ein Bewerbungsgespräch, bei dem nur die freundlichen Fragen zugelassen werden.

Am Ende bleibt: Transparenz in Richterwahlen ist ein Gewinn für die Demokratie – aber nur, wenn die Kandidaten diese Transparenz nicht als Zumutung, sondern als Selbstverständlichkeit begreifen.