Richteramt und öffentliche Verantwortung – Warum sich Frauke Brosius-Gersdorf der Debatte hätte stellen müssen
Die Nominierung von Prof. Frauke Brosius-Gersdorf für das Bundesverfassungsgericht war eine seltene Gelegenheit: Erstmals rückte eine Richterwahl in den Mittelpunkt der öffentlichen Debatte. Statt in den üblichen Hinterzimmern und Parteizirkeln zu bleiben, stand eine Kandidatin im vollen Licht der Aufmerksamkeit – und mit ihr die Frage, wie transparent und kontrovers Richterwahlen in einer Demokratie sein dürfen.
Doch was folgte, war kein souverän geführter Dialog über Qualifikation, Haltung und Integrität, sondern der Rückzug. Brosius-Gersdorf erklärte, sie könne den „Diffamierungen“ und „Desinformationskampagnen“ nicht weiter ausgesetzt sein. Unterstützer aus dem juristischen Establishment warfen der Politik vor, sie nicht genügend geschützt zu haben.
Kritik ist kein Makel, sondern Prüfstein
Ein Richteramt am Bundesverfassungsgericht ist kein privates Hobby, sondern eine Institution, die über die Auslegung unserer Verfassung entscheidet. Wer für dieses Amt kandidiert, tritt in den Raum der höchsten öffentlichen Verantwortung.
Das bedeutet: Man wird nicht nur an fachlicher Kompetenz, sondern auch an der eigenen öffentlichen Rolle gemessen. Aussagen zu Grundrechtsfragen – ob zu Abtreibung, Impfpflicht oder Menschenwürde – sind nicht abstrakte Seminarübungen, sondern Positionen mit gesellschaftlicher Sprengkraft.
Wer hier Einfluss nehmen will, muss bereit sein, sich auch der härtesten Kritik zu stellen. Nicht, weil es angenehm ist, sondern weil demokratische Legitimation ohne öffentlichen Prüfstein wertlos ist.
Die Grenze zwischen Schutz und Abschottung
Es ist legitim, sich gegen Beleidigungen und Drohungen zu wehren. Aber es ist etwas anderes, wenn jede kritische Auseinandersetzung vorschnell in diese Kategorie fällt. In einer offenen Gesellschaft müssen Kandidaten für höchste Ämter aushalten, dass ihre Positionen seziert, ihre Widersprüche offengelegt und ihre Wertmaßstäbe hinterfragt werden.
Gerade wer Haltungen vertritt, die vom Mainstream abweichen, muss mit Gegenwind rechnen – und ihn argumentativ begegnen. Wer stattdessen den Rückzug wählt, setzt ein fatales Signal: dass unbequeme Debatten um höchste Ämter lieber vermieden werden sollten.
Öffentlichkeit ist Pflicht, nicht Bürde
Das Bundesverfassungsgericht lebt nicht nur von juristischer Exzellenz, sondern auch vom Vertrauen in die Persönlichkeiten seiner Richter. Dieses Vertrauen entsteht nicht im geschützten Kreis der Parteifreunde, sondern im offenen Schlagabtausch mit der Öffentlichkeit.
Wer diese Bühne betritt, sollte bereit sein, den Scheinwerfern standzuhalten. Wer sie scheut, muss sich fragen lassen, ob er dem Amt und seiner symbolischen Wucht gewachsen ist.
Talkshow ist kein Ersatz für öffentliche Prüfung
Brosius-Gersdorf trat bei Markus Lanz auf – eine Bühne, die auf den ersten Blick nach „Stellen“ aussieht. Doch Talkshows sind kein Ersatz für den offenen Diskurs. Sie sind inszenierte Formate, in denen Redezeit, Themenführung und Gesprächspartner kalkuliert sind. Kritische Nachfragen können vorkommen, aber sie sind selten so hart und präzise wie in einer echten juristischen oder politischen Auseinandersetzung.
Wer ein Richteramt am höchsten deutschen Gericht anstrebt, muss mehr leisten als PR-taugliche Selbstpräsentation. Er muss auch ungeschützt auftreten, Widerspruch aushalten und den eigenen Überzeugungen gerade dann treu bleiben, wenn sie ins Kreuzfeuer geraten. Alles andere wirkt wie ein Bewerbungsgespräch, bei dem nur die freundlichen Fragen zugelassen werden.
Am Ende bleibt: Transparenz in Richterwahlen ist ein Gewinn für die Demokratie – aber nur, wenn die Kandidaten diese Transparenz nicht als Zumutung, sondern als Selbstverständlichkeit begreifen.

Das habe ich anders erlebt: den Rückzug hat Brosius-Gersdorf angekündigt und gewählt, um das Funktionieren der Demokratie, insbesondere der Gewaltenteilung, nicht (noch weiter) zu beschädigen. Ich schätze sie durchaus, auch wenn ich nicht alle ihre Positionen unterstütze. Sie wäre eine gute Besetzung für den Posten gewesen. Insofern habe ich ihre Motivation, auf die Kandidatur zu verzichten, verstanden, und dennoch bedauert.
Vielleicht kannst Du mit diesem Interview mit Juli Zeh etwas anfangen; das finde ich sehr reflektiert und darüber hinaus werden ein paar zusätzlich bedenkliche Punkte gestreift:
https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/juli-zeh-ueber-rueckzug-von-brosius-gersdorf-eine-entwicklung-die-ich-fuer-ungesund-halte-li.2347978
Ich habe den von dir verlinkten Artikel von Juli Zeh gelesen und verstehe ihren Punkt: Sie sieht den Rückzug von Brosius-Gersdorf als Symptom einer ungesunden Diskurskultur, in der Empörungsmechanismen die inhaltliche Auseinandersetzung verdrängen. Grundsätzlich stimme ich zu, dass Demokratie vom offenen Streit lebt und dass Ideologisierung in Richterwahlen problematisch ist.
Aber genau deshalb sehe ich den Fall anders: Demokratie lebt nicht nur vom Diskurs, sondern auch von der Überprüfung, ob Kandidaten selbst Maßstäbe wie Rechtsstaatlichkeit, argumentative Redlichkeit und fachliche Integrität einhalten. Brosius-Gersdorf hat sich nicht wegen einer abstrakten Empörung zurückgezogen, sondern im Kontext konkreter Kritik an ihrer Arbeit und öffentlichen Aussagen – Kritik, die nicht allein ideologisch motiviert war, sondern auch inhaltliche und fachliche Fragen berührte.
Zeh stellt es so dar, als sei die Kandidatin vor allem „Opfer“ eines vergifteten Klimas. Ich halte es für gefährlich, fachliche Kritik pauschal als toxische Empörungswelle zu etikettieren. Das verschiebt den Fokus weg von der sachlichen Prüfung der Eignung hin zu einer Art „Solidaritätsbonus“ für die Kandidatin. Gerade wenn es um das Bundesverfassungsgericht geht, darf nicht der Eindruck entstehen, dass unbequeme fachliche Fragen aus Rücksichtnahme unterdrückt werden.
Mit anderen Worten: Ja, wir brauchen den offenen Streit, aber nicht auf Kosten einer gründlichen und gegebenenfalls auch kritischen Prüfung der Person, die in eines der wichtigsten Ämter der Republik gewählt werden soll.
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Die Richterinnen und Richter am Bundesverfassungsgericht sind nicht „irgendwelche“. Sie sind die fachliche Spitze der deutschen Justiz – die Besten der Besten. Das macht die Prüfung von Eignung und Integrität noch wichtiger. Wenn bei einer Kandidatin Zweifel auftauchen, ist es kein „Skandal der Diskurskultur“, wenn diese Zweifel offen angesprochen werden. Es wäre vielmehr ein Skandal, wenn man aus Rücksichtnahme darauf verzichtet.
Das streite ich alles nicht ab. Also... vielleicht würde ich gerne einränken:
Das waren sie einmal. Noch zu Zeiten von Papier... Und dann passierten Sachen.
Und wenn wir mal von Top-Juristen sprechen. Ich hatte mal Steinhöfel angefragt. Der hat innerhalb von 9min geantwortet und er versinkt in Arbeit.
In der Tat, den Dr. Hans Jürgen Papier hab ich sogar vor nicht allzulanger Zeit angeschrieben. In der Sache konnte und wollte er sich zwar logischerweise nicht mehr äußern, ist ja schon über 80, aber er antwortete mir. Das sind noch Menschen für die Respekt und Achtung nicht nur Worte sind.