Staatsversagen im Dienstweg – Wie Justiz, Verwaltung und Ministerien gemeinsam das Grundgesetz aushebeln

  1. Einleitung: Das System schützt sich selbst
    Grundrechte sind nicht bloß Worte im Gesetz – sie sind konkrete Abwehrrechte gegen staatliche Willkür und Schutzgarantien für jeden Einzelnen. Doch was geschieht, wenn der Staat selbst nicht mehr bereit ist, sich an diese Regeln zu halten? Wenn sich Justiz, Verwaltung und Ministerien gegenseitig absichern, wenn Verfahren aus dem Ruder laufen?

GG.jpg

Ein realer Fall zeigt, wie institutionelles Wegducken dazu führt, dass grundlegende Verfahrensrechte ausgehebelt werden – und wie der Dienstweg zum Grab des Rechtsstaats wird.

  1. Der Ausgangspunkt: Behördenversagen auf kommunaler Ebene
    Im Frühjahr 2025 wurde der Kreis Borken mit einer existenziell bedeutsamen Leistungsangelegenheit konfrontiert. Statt eine Entscheidung zu treffen, reagierten die Behörden über Monate hinweg gar nicht – trotz förmlicher Anträge, Nachweise und Bitten.

Am 3. April 2025 wurde daher eine Fachaufsichtsbeschwerde an die Bezirksregierung Münster eingereicht. Diese wurde bis heute nicht beantwortet – auch nach wiederholtem Nachfassen. Die zuständige Bezirksregierung entzog sich jeder rechtlichen Bewertung – eine Dienstpflichtverletzung unter den Augen des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW.

  1. Die Eskalation: Justiz blockiert den Rechtsschutz
    Die Betroffene wandte sich mit anwaltlich strukturierter Unterstützung ans Sozialgericht Münster. Dort wurde der Bevollmächtigte ohne jede Begründung zurückgewiesen – mehrfach wurde um rechtliches Gehör gebeten, doch das Gericht antwortete nicht.

Auch das Landessozialgericht NRW verweigerte eine inhaltliche Prüfung. Die verfassungsrechtlich garantierten Verfahrensrechte aus Art. 103 Abs. 1 GG (rechtliches Gehör) und Art. 19 Abs. 4 GG (effektiver Rechtsschutz) wurden offenkundig verletzt. Der Schutz durch das Recht wurde zur bloßen Formalie – nicht existent in der Praxis.

  1. Die Blockade: Justizministerium verweigert jede Verantwortung
    Am 15. Juli 2025 wurde das Justizministerium NRW mit einer fachlich fundierten Eingabe informiert. Gefordert wurde keine Einmischung in richterliche Entscheidungen, sondern eine aufsichtsrechtliche Prüfung der strukturellen Defizite, insbesondere im Umgang mit nichtanwaltlichen Bevollmächtigten und der rechtsfernen Verfahrensführung.

Die Antwort: eine vollständige Verweigerung inhaltlicher Auseinandersetzung. Das Ministerium berief sich pauschal auf die richterliche Unabhängigkeit – und erklärte sich nicht zuständig.
Dass das Grundgesetz auch die Justiz bindet (Art. 1 Abs. 3 GG) – wurde mit keinem Wort gewürdigt. Die Frage, ob strukturelle Verfahrensverweigerung mit rechtsstaatlichen Prinzipien vereinbar ist, wurde schlicht ignoriert.

  1. Der Gegenschlag: Verfassungsbeschwerde und politischer Druck
    Die Antwort des Ministeriums wurde umgehend als Nachtrag zur anhängigen Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Sie dokumentiert das, was diese Beschwerde im Kern angreift: ein System, das sich institutionell selbst schützt, statt das Grundgesetz zur Geltung zu bringen.

Parallel wurde der Landtag NRW informiert, da eine Petition (18-P-2025-13447-00) bereits anhängig ist. Der Petitionsausschuss wurde aufgefordert, das Ministerium auf die Verbindlichkeit des Art. 1 Abs. 3 GG hinzuweisen – auch für Gerichte.
Denn wo jede Instanz auf die nächste verweist, verliert der Rechtsstaat seinen Inhalt – auch wenn seine Form noch steht.

  1. Fazit: Der Rechtsstaat als bloße Formhülle
    Was dieser Fall offenbart, ist kein bloßes Behördenversagen – sondern ein kollektiver institutioneller Selbstschutz, der demokratische Kontrollmechanismen gezielt unterläuft.

Verwaltung schweigt, obwohl sie handeln müsste.

Gerichte verweigern den Zugang zum Recht mit formalen Tricks.

Ministerien entziehen sich jeder Verantwortung durch das Mantra der Gewaltenteilung.

Die Betroffenen bleiben schutzlos – nicht trotz, sondern wegen des Systems.
Das Grundgesetz wird nicht mehr durchgesetzt, sondern verwaltet – solange, bis jede Hoffnung auf Korrektur versiegt.

Der Rechtsstaat stirbt nicht durch Umsturz – er stirbt im Verfahren.
Und das Verfahren stirbt im Dienstweg.

Verfasst von:
Jan-Philipp Vieth