Wenn Beweislast zur Machtfrage wird – Warum Dobrindts „Paradigmenwechsel“ den Rechtsstaat bricht
Am 24. Oktober 2025 verkündete Bundesinnenminister Alexander Dobrindt auf X einen „Paradigmenwechsel“:
„Wer Vermögen besitzt, dessen Herkunft unklar ist, muss künftig beweisen, dass dieses Geld legal erworben wurde.“
Was hier als Fortschritt im Kampf gegen organisierte Kriminalität verkauft wird, ist in Wahrheit ein Bruch mit der Verfassungsordnung. Denn die Umkehr der Beweislast bedeutet, dass der Bürger seine Unschuld beweisen muss – und damit die Grundannahme des Rechtsstaats aufgegeben wird.

1. Rechtsstaat beginnt beim Zweifel
Die Unschuldsvermutung ist kein Gnadenrecht, sondern konstituierendes Prinzip:
„Jede Person gilt bis zum gesetzlichen Nachweis ihrer Schuld als unschuldig.“
So in Art. 6 Abs. 2 EMRK; durch Art. 20 Abs. 3 GG bindet sie die deutsche Gesetzgebung. Wer die Beweislast auf Bürger verlagert, verlässt die Rolle des Garanten und wird zum Verdachtsverwalter seiner Bürger.
2. Die Beweislastumkehr als struktureller Rechtsbruch
Die Maßnahme trifft das Eigentum (Art. 14 GG) und die informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG). Selbst wenn sie nur „die Organisierte Kriminalität“ treffen soll, ist das Design verfassungswidrig in der Wurzel:
- Verdacht wird vom Tatnachweis entkoppelt.
- Ermittlungsarbeit wird durch eine Pflicht zur Selbstbelastung ersetzt.
- Misstrauen wird zum Grundmodus staatlichen Handelns.
3. Effektiver Rechtsschutz wird entkernt
Wer sich vorab rechtfertigen muss, bevor der Staat eingreift, verliert faktisch die Möglichkeit, im Verfahren Gegner zu sein. Das unterläuft den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG). Das ist kein „Paradigmenwechsel“, sondern eine Systemumkehr.
4. Der Minister müsste es wissen
Dobrindt ist kein Unwissender. Er weiß, dass die Unschuldsvermutung kein strafprozessuales Detail ist, sondern Grundpfeiler demokratischer Legitimität. Ein Innenminister, der deren Aufgabe als Fortschritt feiert, legt politisch Ehrlichkeit an den Tag – juristisch aber ein Geständnis des Rechtsbruchs.
5. Schluss
Ein Rechtsstaat erkennt sich daran, dass er auch bei schwierigen Lagen rechtstreu bleibt. Wer das Beweismaß zugunsten der Macht verschiebt, verkehrt Freiheit in Misstrauen und Sicherheit in Kontrolle.
Rechtsstaat heißt: Der Staat beweist – nicht der Bürger.