Wenn Verfassungsbruch zur Routine wird – Ein Skandalbericht

Was bleibt vom Rechtsstaat, wenn Gerichte nicht mehr hinschauen wollen?

Ein Sozialgerichts-Richter verweigert das Verfahren. Der Präsident sagt: Das sei Ausdruck richterlicher Unabhängigkeit. Das Landessozialgericht schaut nicht hin – weil es sonst sehen müsste. Und der Bürger fragt in Karlsruhe: Wenn das noch rechtsstaatlich sein soll – was ist dann Verfassungsbruch?

Die Justiz lebt nicht von Paragrafen allein, sondern vom Vertrauen, dass Verfahren offen, neutral und nachvollziehbar geführt werden. Wenn aber Kontrolle durch Loyalität ersetzt wird, wenn das Verweigern von Anhörung, Begründung und rechtlicher Prüfung zur Praxis wird, verliert der Rechtsweg seine Substanz. Es bleibt nur noch Form.

Ein System des strukturellen Wegsehens

Wer heute ernsthaft versucht, gegen Verfassungsverstöße in Gerichtsverfahren vorzugehen, erlebt kein entschlossenes Kontrollsystem, sondern eine geschlossene Front des Abwimmelns. Die Anhörungsrüge wird von denselben Richtern verworfen, die das Gehör verletzt haben. Eine Begründung fehlt. Eine Prüfung findet nicht statt. Stattdessen: Hülle, Ritual, Routine.

Und selbst wenn das Bundesverfassungsgericht eingeschaltet wird, lautet die stillschweigende Botschaft der Instanzen: Das machen wir immer so.

"Der Rechtsweg darf nicht zu einer formalen Hülle ohne inhaltliche Kontrollfunktion degenerieren."
(BVerfGE 93, 99 [115])

"Rechtsschutz darf nicht durch schematische Anforderungen entwertet werden."
(BVerfG, NJW 2004, 3405)

Diese Maßstäbe gelten – auf dem Papier. In der Praxis werden sie systematisch ignoriert.

Der Skandal liegt nicht im Einzelfall – sondern in der Wiederholung

Es geht nicht um eine Fehlentscheidung. Es geht um ein gerichtliches Selbstverständnis, das sich gegen Kontrolle immunisiert. Das Skandalöse liegt nicht im Versehen, sondern im Bewusstsein, dass man es trotzdem tun kann. Gerade weil Bürger kaum Chancen haben, sich dagegen durchzusetzen.

Und doch ist genau das der Prüfauftrag des Bundesverfassungsgerichts: zu verhindern, dass Verfahren zur Farce, Grundrechte zur Kulisse und Justiz zur Formübung verkommen.

Wenn Karlsruhe das nicht aufhält – dann ist der Rechtsstaat begraben?

Verfasser: Jan-Philipp Vieth

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