Sunnuntairauha

in Dream Steem7 hours ago (edited)

Sonntagsruhe. Sonntagsruhe?

„Ein guter Ruf ist köstlicher als großer Reichtum und anziehendes Wesen besser als Silber und Gold.“

Nur diesen einen Satz las Vater und schwieg, ohne die Augen von seiner Bibel zu lösen. Ich war wie vernichtet. Vor meinen Augen begannen Pfad und Wiese in der Vormittagssonne zu verschwimmen. Bewegungslos blieb ich sitzen, wagte nicht aufzublicken in sein Gesicht, schaute nur auf das aufgeschlagene Buch in seiner Hand. Hatte mich gestern Abend jemand bespitzelt und bei den Eltern angeschwärzt? Dabei hatte doch alles so harmlos angefangen – ein fröhliches Dorffest mit Tanz. Und mit Jungs, natürlich.

Die Hände auf meiner Sonntagsschürze wurden kalt und feucht, aber unter Jacke und Rock begann ich zu schwitzen. Wie gern hätte ich das Tuch aufgeknotet, doch ich wagte noch immer nicht, mich zu bewegen. Wie viel wussten sie? Was hatte die Verräterin alles gesehen oder gehört und dann weiter berichtet? Wenn es Emma gewesen ist, meine große und neidische Schwester, dann hatte sie gewiss auch einiges hinzu gedichtet, um mich in möglichst schlechtes Licht zu stellen.

Emma! Immer wieder Emma! Seit ich mich erinnern kann, hat sie mich beobachtet und belächelt. Dabei war sie gerade mal eineinhalb Jahre älter als ich. Aber sie fühlte sich mir schon immer moralisch überlegen. Allmählich begann ich zu glauben, sie wäre besser als Nonne geboren, aber so wird ja niemand geboren. Jedenfalls suchte sie von morgens bis abends, unserem frommen Vater zu gefallen.

Ich gebe zu, sie hatte es nicht leicht, wem anders zu gefallen. Die Jungs auf dem Dorffest schauten ihr zum Beispiel nur entgegen, wenn sie etwas zu trinken brachte. Emmas Entengang hinterher zu blicken, fiel keinem ein, das kannten sie ja. Unsere Mutter betrachtete diesen Gang mit Sorge, denn seit Emmas Sturz in der Scheune war ihre Hüfte nicht mehr richtig beweglich geworden. Und das nun schon seit fünf Jahren. Oder waren es sechs? Ich war jedenfalls schon in der Dorfschule damals, das weiß ich noch.

Hinter meinem goldroten Zopf allerdings schauen alle Jungs hinterher, das kann ich immer gut spüren. Aber habe ich „ein anziehendes Wesen“? Und ist das tatsächlich besser als Silber und Gold? Zumindest ist es genauso anstrengend. Der eine und der andere möchten davon etwas abbekommen. Und natürlich ist da Juho mit seiner kräftigen Statur und den strahlend blauen Augen unter dem schwarz in die Stirn hängenden Haar. Wenn der mich anschaut, dann wird mir überall warm. Wenn er gar mit seiner schon männlich gewordenen Stimme meinen Namen ruft, um mich zum Tanz aufzufordern, dann weiß ich kaum noch, ob ich wirklich so heiße: „Aino!“

Hat Vater sich bewegt, hat er mich kurz angeschaut? Ich bin so versunken in meine eigenen Gedanken, dass ich es nicht sicher weiß. Was könnte Emma gesehen haben, was hat sie sich wohl nur eingebildet, mit wem hat sie mich vielleicht verwechselt? Es war doch dunkel gewesen unter den Eschen, das Licht vom Fest unter der Dorfulme reichte nur bis an den Teich und kaum bis an die kleine Holzkirche. Oh Gott, die Kirche! War Emma etwa in der Kirche gewesen? Um für ihre Heilung zu beten? Oder für ihre Seele? Oder – wer weiß! – für meine? Hatte sie von dort unser Gekicher gehört und sich den Rest in ihrer Fantasie ausgemalt? Auszumalen versucht? Meinte sie, Juho habe mich gegen einen Baum gedrückt? Mir unter den Rock gefasst? Abgesehen davon, dass der Gedanke daran sich eigentlich sehr gut anfühlt, würde Juho so etwas nicht machen, jedenfalls nicht gegen meinen Willen, da bin ich sicher.

„Ein guter Ruf ist köstlicher als großer Reichtum“, aha, und wie steht es um deinen Ruf, liebe Emma? Gehst du deine Schwester anschwärzen, um dich damit vor Gott und den Eltern besser zu fühlen als sie? Ist das deine Vorstellung von einem guten Ruf? Was habe ich dir getan, dass du meinen schlecht zu machen trachtest?

Vater scheint mich vergessen zu haben. Er liest und liest, wie es aussieht, denn mittlerweile hat er umgeblättert. Sprüche Salomos, da kann man sich schon mal fest lesen, bis einem schwindlig wird, sich darin sogar verlieren. „Gehorche deinem Vater, der dich gezeugt hat, und verachte deine Mutter nicht, wenn sie alt wird.“ Hat Vater das gerade laut gelesen, oder ist es mir nur einfach eingefallen? Hat Vater denn seinem Vater gehorcht? Ich glaube zu wissen, dass Großvater anfänglich gar nicht begeistert war, dass Vater – damals vielleicht 18 Jahre alt – unserer späteren Mutter den Hof gemacht, um nicht zu sagen: sie heftig umworben hatte.

Aber wo war ich in Gedanken? Bei Emma. Was habe ich ihr getan? Doch wohl nichts, was andere Geschwister nicht auch untereinander – halt, einmal vielleicht, da war ich wirklich böse zu ihr gewesen, das muss ich zugeben. Als ich den großen Ballen Stroh nicht mehr länger mit der schweren Gabel über Kopf zu halten vermochte und ihn auch nicht dahin zurück schieben konnte, von wo ich ihn unvorsichtigerweise geangelt hatte, da rief ich ganz verzweifelt nach ihr, und als sie endlich kam und mir half, sagte ich nur keuchend: „Du lahme Ente, ich wäre fast darunter begraben worden!“ Sie schaute mich erschrocken an, aber bevor ich richtig begriff, was ich da getan hatte, drehte sie sich abrupt um und watschelte davon. Arme Emma!

Meine Hände sind jetzt wieder trocken und wärmer, die Hitze unter den Kleidern hat sich verflüchtigt, ich stehe auf und sage mit fester Stimme: „Ich muss mit Emma reden!“ Und zu meinem übergroßen Erstaunen höre ich Vater mit sanfter Stimme hinter mir: „Sie liegt drinnen in der Stube und wartet auf dich, Aino.“

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Albert Gebhard, „Sunnuntairauha“ (Aquarell, 1896)

Sunday rest. Sunday rest?

‘A good reputation is more desirable than great riches, and to be esteemed is better than silver or gold.’

Father read only this one sentence and remained silent, without taking his eyes off his Bible. I was devastated. Before my eyes, the path and meadow began to blur in the morning sun. I sat motionless, not daring to look up at his face, just staring at the open book in his hand. Had someone spied on me last night and told my parents? It had all started so innocently – a cheerful village festival with dancing. And boys, of course.

My hands on my Sunday apron grew cold and clammy, but under my jacket and skirt I began to sweat. How I would have loved to untie the kerchief, but I still didn't dare to move. How much did they know? What had the traitor seen or heard and then reported? If it was Emma, my big, jealous sister, then she had certainly added a few things to make me look as bad as possible.

Emma! Always Emma! For as long as I can remember, she has watched me and smiled condescendingly. She was only a year and a half older than me, but she always felt morally superior to me. Gradually, I began to believe that she would have been better off born a nun, but no one is born that way. In any case, she sought to please our pious father from morning till night.

I admit, she didn't have it easy trying to please others. The boys at the village fair, for example, only looked at her when she brought them something to drink. No one thought to look at Emma's waddling gait, they were used to it. Our mother watched this gait with sorrow, because since Emma's fall in the barn, her hip had never regained its full mobility. And that had been the case for five years now. Or was it six? In any case, I was already at the village school back then, I remember that.

Behind my golden-red braid, however, all the boys look after, I can always feel that. But do I be ‘esteemed’? And is that really better than silver and gold? At least it's just as exhausting. One and the other want to get a piece of it. And of course there's Juho with his powerful stature and bright blue eyes under his black hair hanging over his forehead. When he looks at me, I feel warm all over. When he even calls my name in his already mature voice to ask me to dance, I hardly know if that's really my name: ‘Aino!’

Did Father move, did he glance at me briefly? I am so lost in my own thoughts that I cannot say for sure. What could Emma have seen, what might she have imagined, who might she have confused me with? It had been dark under the ash trees, the light from the festival under the village elm tree only reached as far as the pond and barely touched the little wooden church. Oh God, the church! Had Emma been in the church? To pray for her healing? Or for her soul? Or – who knows! – for mine? Had she heard our giggling from there and imagined the rest in her fantasies? Tried to imagine it? Did she think Juho had pushed me against a tree? Reached under my skirt? Apart from the fact that the thought of it actually feels very good, Juho wouldn't do such a thing, at least not against my will, I'm sure of that.

‘A good reputation is more desirable than great riches,’ aha, and what about your reputation, dear Emma? Are you going to denounce your sister to feel better than her before God and your parents? Is that your idea of a good reputation? What have I done to you that you seek to ruin mine?

Father seems to have forgotten me. He reads and reads, it seems, because he has turned the page. Proverbs of Solomon, you can get so engrossed in reading it that you get dizzy, even lose yourself in it. ‘Obey your father who begot you, and do not despise your mother when she grows old.’ Did Father just read that aloud, or did it just occur to me? Did Father obey his father? I believe I know that Grandfather was not at all enthusiastic at first that Father – perhaps 18 years old at the time – was courting our future mother, not to say: he was pursuing her vigorously.

But where were my thoughts? With Emma. What had I done to her? Nothing that other siblings don't do to each other – wait, maybe once, I had been really mean to her, I have to admit. When I could no longer hold the large bale of straw above my head with the heavy pitchfork and couldn't push it back to where I had carelessly fished it out from, I called out to her in desperation, and when she finally came and helped me, I just gasped, ‘You lame duck, I was almost buried under it!’ She looked at me in shock, but before I really understood what I had done, she turned abruptly and waddled away. Poor Emma!

My hands are dry and warm again now, the heat under my clothes has dissipated, I stand up and say in a firm voice: ‘I need to talk to Emma!’ And to my utter astonishment, I hear Father say in a gentle voice behind me: ‘She's lying in the room waiting for you, Aino.’

Translated with DeepL.com (free version), proof read and corrected by the author, me and ty-ty

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Me fascinó tu relato, en el que abordas el interesante tema de las disputas, tal vez celos, que en algún momento de nuestra existencia sentimos hacia nuestras hermanas. Emma tenía una limitación física que le impedía, de alguna manera, llevar una vida "normal"; y quizás por ello estaba excesivamente pendiente de su hermana y de la manera cómo esta actuaba con los chicos.

Me encantó leerte. Un abrazo.

 5 hours ago 

I am still considering writing the story from the father's perspective. This would bring to light details that Aino overlooked or is unaware of.