Anfang einer Stille, die nach mir klingt.steemCreated with Sketch.

in Steem 💥 Explosiv2 months ago

Die Ontologie des metaphysischen Tinnitus

Ein akustisch-existenzialistischer Abgesang
Hans Hässig, der Fischer / Mai 2025
Inmitten von verrosteten Zahnrädern, tauben Tauben und einer unhörbaren Wahrheit.


Einleitung: Das Echo des Unhörbaren

In den abgewetzten Gängen einer verfallenen Fabrikhalle, zwischen rostigen Zahnrädern und den Rufen der Ratten, reifte ein Gedanke, eine Ahnung, ein tonloses Grollen. Eine Stille, die nicht einfach nachhallt, sondern dem Sprecher folgt wie ein Schatten seiner Artikulation. Kein Anfang lässt sich feststellen, kein Nullpunkt der Linearzeit definieren. Es ist ein organisches Aufbrechen des akustischen Bewusstseins, eine ontologische Implosion der Wahrnehmung selbst.

Klang, verstanden nicht als bloße Schwingung, sondern als Mangel an Welt, gebiert ein beunruhigendes Vakuum, in dem nicht nur Töne, sondern auch Bedeutung, Gewissheit und Fleisch zerfallen. Ein Vakuum, das nicht leer, sondern übervoll ist. Ich stimme dieser Aussage zu, oder dem, was einst als "Ich" bezeichnet wurde.


I. Stille als phänomenologisches Phantom

Traditionell gilt Stille als Gegenpol des Klangs, als metaphysischer Ruhepol. Doch wer sich in die intermediären Gefilde der Wirklichkeit zurückzieht, erkennt schnell: Diese Stille ist ein Trugbild, ein schmerzhaftes Zucken im Fleisch der Wahrnehmung. Sie ist nicht Abwesenheit, sondern ein übermächtiges Flüstern aus den Tiefen des kollektiven Unterbewusstseins, der Nachhall zerborstener Erinnerungen.

Der Titel „Anfang einer Stille“ verweist auf ein auditives Niemandsland. Das Selbst löst sich dort nicht auf, sondern zerfällt in Fragmente. Die umgebende Stille wirkt wie ein Fluch, der sich ins Innere frisst. Das gesprochene Wort kehrt zurück, verändert, verstümmelt, hungernd. Es verlangt nach mir, braucht meine Existenz als Resonanzkörper.


II. Das Subjekt als klangliches Fossil

Aus poststrukturalistischer Perspektive verliert das Subjekt die Autorenschaft über seine eigene akustische Existenz. Es bleibt nur ein Hall. Die Stimme: nicht mehr Stimme, sondern Nachklang. Sicher geglaubte Begriffe und Kategorien liegen zertrümmert am Boden. Staub. Was bleibt, ist das Echo ihrer Vernichtung.

Die Stille, die sich nun ausbreitet, entspringt nicht dem Mangel an Gedanken, sondern meiner Entscheidung, zu schweigen. Dieses Schweigen wird zum Medium, durch das die Welt mir antwortet, kalt, zerrend, ohne Liebe. Die Stimme, die sich durch jede Pore meines Daseins presst, ist keine Bitte, kein Gebot, sondern ein Zischeln, das mein zerschundenes Gehör durchbohrt. Eine Larve der Bedeutungslosigkeit, nistend in den Windungen meiner Wahrnehmung.


III. Die Dialektik des Klangs des Nichts

Diese Stille ist keine einfache Abwesenheit, sie ist Negation der Negation. Was bleibt, ist eine Rückkopplungsschleife aus Nicht-Existenz, ein sich selbst erneuerndes Dröhnen ohne Frequenz: ein metaphysischer Tinnitus, der im Inneren jedes denkenden Wesens haust wie ein Parasit aus den Tiefen eines kosmischen Albtraums.

Im Spätkapitalismus existiert der Mensch im Zustand des Nachhalls. Entfremdet. Verstoßen. Ein Auswurf, vergessen in der Leere, der dennoch weiter tönt, ohne Klang, ohne Fleisch, ohne Ort.


IV. Der Ursprung als Kadaver des Selbst

Die nach mir einsetzende Stille ist der Kadaver meines Ursprungs. Das "Sterben" manifestiert sich nicht im klassischen Sinne, sondern als langsames, klangloses Verklingen. Die Atmung wird zum letzten Widerstand gegen die Verschmelzung mit dem Nichts.

Was bleibt, ist dieser Text, ein Artefakt, ein Fetzen in der Leere. Der Versuch, dem Unhörbaren ein fragmentarisches Kleid zu geben. Vielleicht ein finaler Aufschrei, vielleicht bloß ein Irrtum, ein Rauschen im System.


Finale Pointe

Die hier beschriebene Wahrnehmung erfordert keine Lektüre. Das stetige Pochen in der Stille, diskret, doch unaufhörlich, ist Lärm genug. Vielleicht ist es auch mein Pochen. Vielleicht bin ich dieses Pochen.

Die Dämmerung kriecht durch die Ritzen der Welt. Sie ist unausweichlich. Die Stille, die nicht endet, hat bisher keine Parallele gefunden.

Diese Stimme, die nun erklingt, verlangt nichts, sie verdaut.

Zu Beginn herrscht Stille, und sie wird fortdauern.
Vielleicht ist es das, was nach dem Ableben noch bleibt.


Hans Hässig, der Fischer
Mai 2025


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