Am unteren Ende der Nahrungskette
Freud und Leid liegen manchmal nah beisammen. Hatte ich gestern das Glück, "meine" Pflegerin relativ selbständig unterstützen zu können, war heute das Gegenteil der Fall. Am Ende habe ich mit der jungen Ärztin, die das Team der Anästhesie seit letztem Donnerstag verstärkt, über Ausbildungsinhalte des Rettungssanitäters diskutiert. Das hat mir so wenig Ruhe gelassen, daß ich gerade die rechtlichen Vorgaben ausdrucke ...
Aber eigentlich liegt das Problem tiefer. Ich bin das Ende der Nahrungskette, was die Informationsweitergabe angeht. Ist mir auf der jetzigen Station bislang gar nicht so aufgefallen, heute war es halt frappierend. Es fand eine OP unter Röntgenkontrolle statt (na gut, nicht nur eine) und der Pfleger schickte mich mit der Bemerkung, ich müsse mich der Strahlung nicht aussetzen, vor die Tür. (Die Famulantin - Medizinstudentin im höheren Semester - , die anstelle eines der Arztes da war, blieb. Es war ja eigentlich keine große Sache, so anästhesietechnisch gesehen: für einen gebrochenen Unterarm macht man heutzutage keine Vollnarkose mehr.)
Ich muß schon wieder um Erklärungen betteln und auch um jede Praxisaufgabe. Oder, um es anders auszudrücken: um jeden Eingriff in die Routine der Pfleger. Eigentlich sollte ich auch mit den Ärzten mitlaufen, habe es aber wieder versäumt, mir eine Kumpelbeziehung aufzubauen. Bzw. hätte ich ja eigentlich eine, aber dieser Arzt ist spontan im Notarztdienst eingesprungen. Also konnte ich heute nicht mit ihm im Saal stehen. Die Pflegerin von gestern, bei der ich ein wenig Praxis gesammelt hatte, allerdings auch erst, nachdem ich etwas gedrängelt hatte, etwas üben zu dürfen, war heute ebenfalls nicht da.
Ich habe also, könnte man meinen, versagt, mir genügend Respekt und Anerkennung in der Abteilung zu verschaffen, um als gleichberechtigtes Mitglied mitarbeiten zu können. Das wäre jetzt eigentlich nicht überraschend, wurde mir gegenüber aber nicht explizit formuliert.
Auf der anderen Seite muß ich jetzt leider einen Vorwurf loswerden. Die Famulantin ist seit Montag da, die junge Ärztin seit letzter Woche. Niemand hat in den paar Tagen zu ihnen gesagt: das könnt ihr nicht. Vielmehr wurden ihnen die Infos und die Praxis auf dem Silbertablett präsentiert. Wenn ich es richtig mitbekommen habe, hat die Famulantin heute - unter oberärztlicher Aufsicht und mit einem gewissen zeitlichen Aufwand - das erste Mal einen Nerv durch Injektion eines Anästhetikums ins umliegende Gewebe blockiert. (Es gibt zwei junge Frauen, die sich in OP-Kleidung ein wenig ähnlich sehen, nur eine davon ist meines Wissens Famulantin.)
Nur wollte ich ja eigentlich von der Stellung als letztes Glied der Nahrungskette weg, sonst hätte ich das Praktikum gar nicht angetreten!
Bleibt die Frage, wieviel ich selbst, mit meiner Persönlichkeit, zu der Situation beigetragen habe. Es gibt SanitäterkollegInnen, die haben keine 160 Stunden an 10 Wochenenden die Schulbank gedrückt und dafür 1000 Euro hingelegt, sondern sich mit der organisationsspezifischen Ausbildung für Helfer im Sanitätsdienst begnügt, die nur unwesentlich kürzer ist, aber etwas weniger in die Tiefe geht. Die machen trotzdem gute Arbeit und sind selbstbewußt gegenüber Kollegen und Patienten. (Und manchmal Personen, vor denen ich so den Hut ziehe, daß ich ihnen in der Vergangenheit manches Mal die Arbeit überließ. Dabei sollte es doch umgekehrt sein.)
Vor Jahren bewarb ich mich einmal für eine Forschungsstelle eines medizinischen Institutes. Meine Gesprächspartner waren 2 Ärzte und ein Radiologieassistent. Von der Entscheidung, ehrenamtlicher Sanitäter zu werden, war ich damals noch entfernt, auch wenn sie sich langsam anbahnte. Ich würde also behaupten, jetzt mehr an Medizin interessiert zu sein als damals. Trotzdem war ich damals eher auf einer Ebene mit den drei Fachleuten als heute. Ich hätte die alles fragen können und habe das teilweise auch.
Mein Ehrenamt liegt eh in einer Krise. Es gibt wenig zu tun und irgendwie ist bei mir die Luft raus. Ich hatte eine andere Bereitschaft bei ihrem Gruppenabend besucht und bin während der Besprechung organisatorischer Dinge eingeschlafen. Als nach 50 Minuten Pause ausgerufen wurde, wachte ich wieder auf und mußte mich auf den Weg zur Bahn machen. Das eigentliche Thema des Abends, das erst danach behandelt wurde, ist mir entgangen. Zeit für Gespräche über das Praktikum war auch nicht.
Es gibt also eine Reihe von Gründen, warum bei mir persönlich heute der Haussegen schiefhängt und ich schon wieder Sinn und Zweck meines Engagements in Frage stelle.
Ich bin noch nicht sicher, wie ich das verarbeiten soll.
Edit: vermutlich würde keiner von den Pflegern trotz aller Widrigkeiten im Beruf beschließen, noch ein Studium oder eine andere Ausbildung zu beginnen. Genau das geht mir für mich gerade durch den Kopf.
Ankommen im Leben dürfen andere, nur ich nicht?
Kopf hoch und nicht runterziehen lassen, gibt solche und solche Tage. Ich hatte damals auch Leute, da hab ich gar nichts gemacht und ich hatte welche da durfte man eine Menge. Einfach hinnehmen, nicht hinterfragen, weiter machen.
So blöd das ist, aber das hilft halt um da ein bisschen mehr zu machen. Solltest Du dran arbeiten 😉
Ja, auf jeden Fall war es auch von sozial- und arbeitspsychologischer Seite her lehrreich und wichtig.
und natürlich stimmt es (leider) das man natürlich als Praktikant erstmal die letzte Wurst ist in der Hierarchie, aber da kann ich den Tip geben:
Denk an später. Später auf der Straße ist es wesentlich interessanter als im Klinikum als Pfleger. Und Du lernst da in den unmöglichsten Situationen und Umgebungen zu improvisieren und zu Retten.
Ja, das ist dann anders und (vermutlich) mir nicht ganz so fremd. (Bin seit Sommer 2015 auf Sanitätsdiensten ... allerdings passiert mir da teilweise zu wenig ... ;o))
ja, ich denke bei Sanitätsdiensten ist das alles noch ein bisschen ... äh... weniger. Freu Dich auf den Regelrettungsdienst, da dürftest Du einiges an Erfahrungen sammeln dürfen.
Kopf hoch...
Ich versuche es einmal emotionslos und faktenorientiert zu sehen. Sage mir, wenn ich falsch liege:
Also,
freu dich, und agiere so, wie es in deinem Sinne funktionieren könnte, aber erwarte es nicht. Das schützt dich vor Enttäuschung und Frustration.
Ich weiß, das klingt fatalistisch, könnte aber auch realistisch sein.
Oder? 😉
Ich habe heute noch mal mit dem Leiter der Pflege in der Abteilung gesprochen und er hat dann schon zugegeben, daß ihm auch alle, die irgendwas mit der Klinik zu tun haben, und seien es popelige Altenpflegehelfer ("die einjährige Ausbildung" nannte er das), in der Priorität vor jeglichem Rettungsdienstpersonal kommen ...
Dabei sind Altenpflegehelfer eigentlich nicht einmal für die Vitalzeichenkontrolle zuständig, machen die aber trotzdem so, als wären sie fertige Krankenpfleger ...
Danke für die Info,
so etwas hatte ich befürchtet. Das kann man auch in ganz anderen Bereichen beobachten. Das Stichwort dazu ist wohl "Stallgeruch".
Bedauernswert, diese Kurzsichtigkeit. Bedenkt man, dass jeder in die Lage kommen kann, einen gut ausgebildeten, kompetenten Rettungsdienst dringend zu benötigen, dann sägt dieser Mensch an dem Ast, auf dem er sitzt.
Schönen Abend noch.
Gruß, Werner
Danke ebenfalls. :)
"Nicht einer von ihnen" stimmt leider nicht ganz, denn wir sichern ja auch (Groß-)Veranstaltungen medizinisch ab, das machen keine Ärzte und Krankenschwestern..
Und jemand, der auf dem Sanka falsch behandelt wird, ist eigentlich der Alptraum für jeden Arzt. Speziell die Anästhesisten sind immer noch diejenigen, die prozentual von der Fachrichtung her am häufigsten auf den Notarztwagen anzutreffen sind. Indirekt profitieren sie also davon, wenn sie ihr Servicepersonal gut ausbilden. Auch wenn dieses Servicepersonal eher Rettungsassistenten oder Notfallsanitäter sind. Der Rettungssanitäter ist das Servicepersonal auf dem Krankentransport (der aber auch zum Notfall werden kann theoretisch) und je nach Größe einer Veranstaltung muß eine bestimmte, gestaffelte, Anzahl Rettungsassistenten, Rettungssanitäter und ggf. auch Notärzte vorgehalten werden. Also in bestimmten Situationen ist der Rettungssanitäter das höchstqualifizierte nichtärztliche Personal und muß bis zum Eintreffen des Arztes den Patienten am Leben erhalten.
Im Rahmen der teilweise unklaren Notfallkompetenz haben sich auch schon Rettungsassistenten strafbar gemacht.
Natürlich bin ich froh über jeden Brocken, habe extra eine Woche mehr drangehängt, um mehr mitzubekommen. Es ist aber frustrierend, wenn ich an einem Tag mit einem erfahrenen Pfleger bespreche, daß ich versuchen sollte, noch bestimmte Lerninhalte einzufordern, und am nächsten Tag dazu erst den Saal wechseln muß und dann mit einer jungen Ärztin, die erst am Anfang ihrer Laufbahn als Anästhesistin (und Notärztin?) steht, diskutieren muß, ob ich diese Inhalte überhaupt brauche.
Danke für deine ausführliche Antwort.
Gruß, Werner.