Die französische Sommerliebe von Hans Hässig / Shaârghot

Ich stand am Rand der Unterstadt, dort, wo das Neonlicht nur noch wie das letzte Zucken eines sterbenden Sterns flackerte. Über mir brannte das Great Eye, ein unermüdlicher, kalter Blick aus Metall und Datenströmen. Die meisten fürchteten ihn. Ich verachtete ihn.
Der Regen roch nach verrottetem Plastik und verbranntem Fleisch. Zwischen den Trümmern alter Lagerhallen waberten die Stimmen der Shadows, diese verlorenen Kreaturen, geboren aus dem Blut des Chaosbringers. Sie lachten, kreischten, sangen in Zungen, tanzten in den Pfützen wie Kinder, die nicht wissen, dass die Welt längst ertrunken ist.
Ich hatte Shaârghot einmal aus der Ferne gesehen. Nicht im Fleisch, sondern als Silhouette im Stroboskop der Sirenenlichter, eine lebendige Wunde, gehüllt in Fetzen und Parasiten. Die Augen… leer und doch voller Sturm. Man sagt, sein Herz schlägt im Takt der Maschinen, und sein Blut frisst sich durch die Seelen wie Rost durch Eisen. Er bringt Freiheit, aber wie ein Sturm bringt er sie ohne Rücksicht, ohne Versprechen.
Kurgans Männer patrouillierten an diesem Abend. Schwarze Rüstungen, Gesichter wie gefrorene Datenfragmente. Sie jagten nicht nur Shaârghot, sondern alles, was nicht in die sterile Ordnung des Regimes passte. Ich passte noch nie hinein. Vielleicht deshalb bin ich noch am Leben, weil sie nicht wissen, was sie mit einem Fischer anfangen sollen, der keine Netze für Fleisch, sondern für Wahrheiten auswirft.
In den Schatten einer alten Fabrikhalle traf ich Clem-X, die Bassistin mit den mechanischen Fingern. Sie reparierte eine improvisierte Antenne, während ein Dutzend Shadows um uns herum wilde Graffiti in den rostigen Stahl ritzten: Augen, Zähne, spiralförmige Runen. Sie erzählte mir, Shaârghot plane einen Angriff, nicht auf das Herz des Great Eye, sondern auf seinen Traum. Träume sind leichter zu töten als Maschinen, sagte sie mit einem Grinsen, das mehr Metall als Fleisch zeigte.
Ich dachte an die Worte und spürte etwas Seltsames: Hoffnung, schmutzig und verkrüppelt wie eine streunende Katze. Vielleicht kann man Systeme nicht nur durch Feuer zerstören, sondern auch, indem man sie in ihrem eigenen Schlaf vergiftet.
Die Nacht roch nach Sturm. In der Ferne hörte ich den metallischen Takt von O.Hurt//U, wie ein Kriegstrommelherz. Shaârghot war unterwegs, und mit ihm kam das Chaos.
Ich zog meinen Fischerhut tiefer ins Gesicht und folgte dem Lärm. Nicht um zu kämpfen, sondern um zu sehen, welche Wahrheiten an diesem Abend aus den Tiefen gerissen werden würden.
Denn in einer Stadt, in der alles überwacht wird, sind die einzigen wahren Schätze jene, die sich dem Blick des Großen Auges entziehen.